„Wir leisten viel Überzeugungsarbeit“
Ziele der Initiative
Welche Ziele verfolgt die Allianz Zukunft Reifen AZuR und wie gehen Sie dabei vor?
Hintergrund unserer Initiative ist, dass jedes Jahr weltweit rund 20 Millionen Tonnen Altreifen anfallen. Global gesehen nimmt die Mobilisierung außerdem zu, was auch den Reifenverbrauch weiter wachsen lässt. Auf der anderen Seite gibt es bereits bewährte Methoden des Recyclings.
Wir arbeiten darauf hin, dass 90 Prozent der in Europa verwendeten Reifen auch hier recycelt werden. Nach der Lebensdauer sollte das Material in den Recyclingprozess gelangen und über die stoffliche und chemische Verwertung eine neue Verwendung finden. Im Idealfall würde jeder Reifen runderneuert werden, was in Europa jährlich Millionen Tonnen Ressourcen schonen, Abfälle vermeiden und CO2-Emissionen sparen könnte.
Im Nutzfahrzeugbereich gibt es in manchen europäischen Ländern schon einen Anteil von 50 Prozent runderneuerter Reifen. Auch im Pkw-Bereich ist die Runderneuerung technisch sehr gut aufgestellt.
Stoffliche und chemische Verwertung
Was passiert mit dem Material, wenn eine Runderneuerung nicht mehr möglich ist?
Das, was unter Beimischung von Reifengranulat hergestellt wird, ist ähnlich robust und witterungsbeständig wie die Reifen selbst. Anwendungsgebiete sind zum Beispiel Matten für die Dachbegrünung oder Dachdrainagen, die Lösungen für die Zunahme von Starkregenereignissen bieten.
Auch Unterlagen für Photovoltaikanlagen können aus wiederverwendetem Reifenmaterial hergestellt werden. Eine große Menge des Reifengranulats kann in Asphalt oder Schallschutzmatten Verwendung finden. Die chemische Verwertung über Pyrolyse befindet sich zurzeit noch in der industriellen Erprobungsphase. Die ersten Ergebnisse sind für die Zukunft vielversprechend.
Auf Dachterrassen sorgen Trittschalldämmungen aus Reifen-Gummigranulat mit integrierter Drainagefunktion für bestmöglichen Schallschutz. © AZuR Allianz Zukunft Reifen
Neuheiten bei Runderneuerung
Welche zukunftsweisenden technischen Neuheiten sehen Sie zurzeit außerdem im Bereich Reifenrunderneuerung sowie stoffliche und chemische Verwertung?
Die Reifenindustrie bemüht sich, die Stoffe im Reifen nachhaltig zu verändern. Einige Hersteller setzen schon Material aus der Devulkanisierung ein. Dabei werden Altreifen zu Pulver zermahlen und mit Additiven versetzt, um daraus eine Gummimischung für die Wiederverwendung herzustellen.
Bei der Runderneuerung wird künftig das Thema Robotik eine stärkere Rolle spielen. Unternehmen in diesem Bereich könnten zukünftig ohne allzu großen Aufwand Automatisierungsprozesse umsetzen. Es gibt hier schon große Fortschritte. Dabei kommt das Thema Künstliche Intelligenz ins Spiel, die bei der Automatisierung helfen kann. Wir versuchen einen Pool von Partnern zusammenzustellen, die bei der ökonomisch sinnvollen Umsetzung dieser Themen unterstützen können. So planen wir im Oktober einen Runderneuerungsgipfel, um beteiligte Unternehmen Maschinenbauer, Softwareanbieter etc. an einen Tisch zu bekommen und neue Impulse zu geben.
Nach der von der DBU geförderten AZuR-Ökobilanz verursacht die Runderneuerung von Lkw-Reifen rund 63 Prozent weniger CO2-Emissionen. © AZuR Allianz Zukunft Reifen
Austausch im Netzwerk
Im AZuR-Netzwerk sind unterschiedliche Partner zusammengeschlossen. Wie schaffen Sie es, diese zum Teamwork zu bewegen?
Mittlerweile sind über 70 Partner im Netzwerk verbunden, darunter acht Neureifenhersteller. Es findet ein Austausch zwischen Industrie, Handel und Wissenschaft statt, den es vorher so nicht gegeben hat. Wir veranstalten hierfür zum Beispiel Arbeitskreise mit Neureifen-Produzenten und Runderneuerern, denn Kreislaufwirtschaft kann nicht im Alleingang funktionieren. Alle Beteiligten müssen in die gleiche Richtung arbeiten. Es geht um ein Zusammenspiel von Herstellung, Entsorgung, Runderneuerung, stofflicher wie chemischer Verwertung und Forschung zum Beispiel im Bereich Pyrolyse. Wenn hier gute Konzepte entwickelt werden, bedeutet das für die Zukunft auch mehr Unabhängigkeit von Rohstoffimporten.
Aufzeigen von Lösungsansätzen
Wie motivieren Sie neue Partner für eine Teilnahme?
Die Kontakte innerhalb der Industrie helfen dabei. Es gibt keine andere Initiative in Europa, die das Thema Reifenrecycling so vernetzt behandelt wie AZuR. Wir leisten viel Überzeugungsarbeit auch auf lokaler Ebene.
So planen wir zum Beispiel gerade in Nordrhein-Westfalen einen Thementisch im Rahmen der Reihe Runder Tisch für die Kreislaufwirtschaft, um sinnvolle Lösungsansätze aufzuzeigen. Im April 2024 wurde in Brüssel auf einer EuRIC-Konferenz mit hoher AZuR-Beteiligung, Politikern und Experten aus ganz Europa über die Zukunft des Reifen-Recyclings diskutiert. Ich bin mir sicher, dass das Netzwerk auch auf europäischer Ebene noch wachsen wird.
Jahrestreffen der Allianz Zukunft Reifen im April 2024 mit 67 AZuR-Partnern aus allen Segmenten der Reifen- und Recyclingbranche und unterschiedlichen EU-Staaten. © AZuR Allianz Zukunft Reifen
EU-Kriterien und Taxonomie
Wie wird denn das Thema auf europäischer Ebene bewertet?
Wir stehen auf EU-Ebene in Kontakt mit Fachpolitikern des Europäischen Parlaments und Kommissaren der Europäischen Kommission, aber vor der Europawahl wird dort mehr nicht viel entschieden. Zwar konnten wir erreichen, dass die aktuellen EU-Kriterien für die umweltorientierte öffentliche Beschaffung im Bereich Straßenverkehr die rechtssichere Ausstattung sämtlicher Fahrzeuge der öffentlichen Hand mit runderneuerten Reifen gestatten. In der Praxis verhindert jedoch die EU-Taxonomie-Verordnung zum straßengebundenen Güter- und Personentransport den Einsatz runderneuerter Reifen, da runderneuerte Reifen noch immer nicht im Anwendungsbereich der Reifenkennzeichnungsverordnung enthalten sind. Hier widerspricht die EU ihren eigenen Verordnungen, wogegen wir massiv Einspruch erhoben haben.
Christina Guth © Allianz Zukunft Reifen
Unterzeichnung der Altreifen-Resolution
Am 4. Juni 2024 wird auf der THE TIRE COLOGNE auf der Fläche von AZuR die Altreifen-Resolution unterzeichnet. Was beinhaltet und fordert die Resolution?
Was wir mit dem Netzwerk schon erreicht haben, ist dass sich viele mit dem Thema beschäftigen. Wir haben allerdings noch keinen wirklichen politischen Durchbruch erzielt.
Wir möchten die THE TIRE COLOGNE 2024 als internationale Branchenplattform nutzen, um erforderliche Mehrheiten zu gewinnen. AZuR ist auf der Messe mit einer Fläche von 450 Quadratmetern und 16 Partnern vertreten. Vor zwei Jahren hätte man sich das noch gar nicht vorstellen können.
Wenn die Resolution am 4. Juni unterzeichnet wird, sind wir parallel auf der Woche der Umwelt in Berlin mit dem Schwerpunkt Runderneuerung präsent. Die unterzeichnete Resolution möchten wir dort den politischen Verantwortungstragenden übergeben. Die Resolution bleibt offen und kann auch danach von weiteren Beteiligten unterzeichnet werden.
Autor
Leif Hallerbach I Broekman+Partner