„Werkstätten müssen ihre Prozesse verstärken“
Zukünftige Einflussfaktoren
Herr Prof. Dr. Reindl, was macht eine erfolgreiche Werkstatt in Zukunft aus?
Die Werkstätten der Zukunft sind auf Basis einer Vielzahl an Einflussfaktoren großen Einschnitten unterworfen. Sie werden deshalb anders strukturiert sein, andere Schwerpunkte im Aftersales- und Sales-Geschäft verfolgen, angepasste Prozesse umsetzen sowie anders ausgestattet sein. Die zentralen Herausforderungen im Aftersales-Geschäft resultieren dabei fahrzeugbezogen insbesondere aus der Elektrifizierung des Antriebsstrangs, der zunehmenden Fahrzeugkonnektivität, dem Einsatz neuer und gewichtssparender Werkstoffe sowie aus der steigenden Anzahl und Komplexität von verbauten Fahrerassistenzsystemen.
Die Zukunftswerkstatt 4.0 bietet eine Kombination aus konzeptuellen und praxistauglichen Lösungsansätzen. © Prof. Dr. Stefan Reindl
Innovationshub Zukunftswerkstatt 4.0
Wie unterstützen Sie Werkstätten bei dieser Transformation?
Konzeptionell bildet die Zukunftswerkstatt 4.0 die Strukturen und Prozesse eines Autohausunternehmens realitätsgetreu und praxistauglich sowie gleichzeitig zukunftsorientiert ab – eine Kombination aus konzeptuellen und praxistauglichen Lösungsansätzen, die im Innovationsradar abrufbar sind. Um eine hohe Akzeptanz und Sichtbarkeit in der Branche abzusichern, ist die Zukunftswerkstatt als eine offene Plattform mit Einbezug aller Wertschöpfungsstufen konzipiert, die Unternehmen des Kfz-Gewerbes, Automobilhersteller, Teilehersteller, Technologiedienstleister, Verbände, Fachmedien sowie Bildungseinrichtungen als Partner zusammenbringt und vernetzt.
Verändertes Kundenverhalten
Hat sich das Kundenverhalten für Autohäuser und Werkstätten verändert?
Automobilkunden wählen ihre Anbieter beim Fahrzeugkauf, aber auch bei der Inanspruchnahme von Serviceleistungen zunehmend in Abhängigkeit vom spezifischen Kauf-, Wartungs- und Reparaturereignis gezielt aus – Stammkunden werden selten.
Sie fordern darüber hinaus digitale Kundenkontaktpunkte ein, das heißt Autohäuser und Werkstätten müssen ihre Frontend- und Backendprozesse mit digitalen Strukturen verstärken. Dabei basieren die Customer Journeys – also die Reise des Kunden zum Kauf – stets auf individuellen Entscheidungen und sind daher bezüglich der Abfolge und Inanspruchnahme einzelner Kundenkontaktpunkte (Customer Touch Points) unterschiedlich strukturiert. Dies stellt die Betriebe vor große Herausforderungen, denn die betrieblichen Prozesse auf die Kundenprozesse abzustimmen, ist vor dem skizzierten Hintergrund ein komplexes Unterfangen.
Die Zukunftswerkstatt 4.0 bildet die Prozesse eines Autohausunternehmens realitätsgetreu und praxistauglich ab. © Zukunftswerkstatt 4.0
Vorteile automatisierter Prozesse
Wie können digitale Lösungen dazu beitragen, Serviceprozesse zu optimieren?
Digitalisierte und automatisierte Prozesse sorgen nicht nur für eine Optimierung des Ressourceneinsatzes, insbesondere im Personalbereich. Auch Kostenhöhe und -struktur in den Betrieben lassen sich positiv beeinflussen – vor dem Hintergrund des offensichtlichen Fachkräftemangels entsteht sogar ein Zwang zur Digitalisierung. Eine Automatisierung mit digitalen Prozessen ist aber auch vorteilhaft hinsichtlich der Fehlervermeidung und Anhebung der Servicequalität sowie bei administrativen Prozessen, denn insbesondere in Backoffice-Bereichen lassen sich Personalkapazitäten einsparen.
Welche Vorteile sind noch von einer Digitalisierung der Prozesse zu erwarten?
Aufgrund der ständigen Online-Verfügbarkeit sind die Unternehmens- und Kundenprozesse synchronisierbar – insbesondere bezüglich der Terminierung, der Auftragskoordination sowie der Kundenkommunikation und -information. Im Bereich der Beschaffung und Lagerhaltung spart die auftragssynchrone Verfügbarkeit von Ersatzteilen nicht nur Kosten und Zeit, sondern beeinflusst damit die Customer-Experience in positiver Weise.
Vernetzte Systeme
Welche Rolle werden vernetzte Fahrzeuge in der Werkstatt der Zukunft spielen?
Vernetzte Systeme sind heute bereits verfügbar und werden sukzessive in den Fahrzeugbestand einfließen. Die verbauten Systeme werden nicht nur die Verkehrssicherheit positiv beeinflussen, sondern sie sind als Enabler für das autonome Fahren aufzufassen.
Angesichts der heute verfügbaren Fahrerassistenzsysteme ist bereits nachvollziehbar, dass dadurch weniger Verkehrs- und Verletzungsfälle auftreten. Dies senkt allerdings nicht zwangsläufig die Aufwendungen je Schadensfall, denn Schäden an Sensoren und Aktuatoren sind mit hohen Aufwandspositionen verbunden.
Daneben bietet die Konnektivität mit einer intelligenten Vernetzung von Fahrzeugen neue Ansätze für Komfort- und Convenience-Ausstattungen. Sowohl bei Fahrerassistenzsystemen als auch bei Komfortausstattungen, die auf Konnektivitäts- und Softwarekomponenten basieren, sind neues Know-how in den Werkstätten sowie hohe Investitionen in die Diagnose-Infrastruktur und bezüglich der Werkstattausrüstung nötig.
Prof. Dr. Stefan Reindl © Prof. Dr. Stefan Reindl
Vortrag zur Werkstatt der Zukunft
Professor Dr. Stefan Reindl ist wissenschaftlicher Direktor und CEO des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA) und dort für eine Vielzahl von Forschungsprojekten verantwortlich. Er ist zudem unter anderem Professor für Automobilwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt sowie Geschäftsführer der Zukunftswerkstatt 4.0.
Autor
Leif Hallerbach I Broekman+Partner